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Rede von Klaus Sebastian anlässlich der Ausstellungseröffnung "BRENNHOLZ" von Marcus Kaiser im Kunstort Bunkerkirche in Düsseldorf am 6.Oktober 2006 


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Marcus Kaiser ist ein Künstler, der sich unserer Welt mit unbefangener Neugier nährt, der das Gewohnte aus ungewohnter Perspektive unter die Lupe nimmt, der Vorgefundenes in seine Elemente zerlegt, um sich dann aus den Teilstücken eine eigene Welt zu erfinden.

Am Beispiel seiner merkwürdig durchleuchteten Weltkarten lässt sich diese Vorgehensweise recht gut veranschaulichen. Das orginale Kartenmaterial, das unseren Planeten ja eigentlich aus der Vogelperspektive abbildet - also von oben oder von außen - verwendet Marcus Kaiser als Ausgangsstoff für eine hintersinnige Wahrnehmungsverschiebung.
Wie sähe denn unsere Erde aus, wenn man sie eben nicht von außen, von oben oder vom Weltall aus darstellte, sondern sozusagen aus menschlicher Perspektive, ein wenig bescheidener, nämlich von unten.

Stellen Sie sich vor; Sie befänden sich in einem beleuchteten Globus und betrachteten die Erdoberfläche von dort aus. Die illuminierten Weltkarten, die wir hier in den Bunkerzellen vorfinden, kann man als Annäherung an ein derart gefühltes Wahrnehmungsbild mit menschlichem Maßstab begreifen.
in minuziöser Geduldsarbeit hat der Künstler das Kartenmaterial zerschnitten, zerlegt und wieder zusammengefügt. Es handelt sich hier also um ein analytisches Verfahren und um eine intellektuelle Spiegelung im wahrsten Sinne des Wortes. Intellekt - das bedeutet: Innewerden, Wahrnehmung, geistige Einsicht, In der Tat denkt Hier ein Künstler über Welt nach und überraschenderweise kommt er dann noch zu einem Ergebnis, das sich auch in sinnlicher Weise - als schöne, neue, ästhetische Weltabbildung sehen lassen kann.

Marcus Kaiser gefällt die Idee, das der Besucher seine künstlerischen Zellen wie künstliche Gärten durchwandert. Im Vorübergehen lassen sich die hier im Bunker entstandenen Erlebnisräume aber nicht wirklich erschließen.
Den Welten und künstlichen Gärten des Marcus Kaiser ist nähmlich stets ein verborgener Sinn eingepflanzt - ein Geheimnis, dem man sich nähern kann, das sich aber allein mit dem Intellekt nie bis ins Mark durchleuchten lässt.

Die vom Künstler selbst entworfenen und gebauten Karten-Regale, die an Schautafeln oder grosse Setzkästen erinnern und in ihrer Plexiglasästhetik Objektivität vorspiegeln, verwirren den Betrachter zunächst. Sie möchten unseren Blick weiten, uns die Augen öffnen, für eine andere  Sicht auf unsere funktionale, normierte, neuzeitliche Weltanschauung.
Weltanschauung im biologischen wie im geistigen Sinn.

Es kann nicht schaden - so scheint uns Kaiser zu erinnern - die reale Erfahrungswelt für ein paar Augenblicke zu verlassen, um sich versuchsweise dem Unbekannten auszusetzen, sich im Ungewissen wie in einem Labyrinth zu verirren.
Dabei hat der Künstler seine Weltkarten sogar mit Kompass-Hilfe in exakte Ost-West Richtung gebracht. In der Installation von Marcus Kaiser kann man also eine geographische und eine zeitliche Ausrichtung feststellen. Denn der Blick geht zun einen nach innen, zurück in die vergangenheit des Orts - und dann in Form von Projektionen und architektonischen Modellen hinaus in die Zukunft.

Die unterirdische Welt der Bunkerkirche erscheint da beinahe ideal - als Gegenraum zur Realität und als Raum für Gegenmodelle mit eigenständigen klimatischen Bedingungen.

Ausgesprochen passend zu diesem dringlichen Thema wird man in Kaisers Klimazellen an die Realität des Bunkers erinnert. Dessen Schutzräume waren oder sind Fluchtorte. Biotope in denen ein Überleben möglich sein könnte.
Der Künstler präsentiert uns die Zellen der Bunkerkirche so gesehen nicht als Erinnerungs- oder Schreckensräume, sondern er richtet den blick in die Zukunft, interpretiert den Ort als Überlebensraum. Ein Raum womöglich in welchem Natur nur noch als Projektion existiert. Sie haben hier unten vielleicht schon einige Projektionsflächen mit grünen Wäldern gesehen. Aus der Bunkerkirche mit ihrem Andachtsraum (Andacht, das bedeutet: "mit Hingabe an etwas denke") könnte so womöglich ein Raum zum Nachdenken werden, nicht zuletzt zum Nachdenken über die Zukunft unseres Planeten.

Heute kann man sich ja kaum noch vorstellen, dass in den Räumen vor etwas mehr als 60 Jahren über 2000 Menschen Platz fanden. Menschen die vor Bombenhagel flohen.

Die Frage, was an solchen Orten überlebensnotwendig wäre, würden Architekten, Heizungsbauer oder Lebensmitteltechniker mit ganz unterschiedlichen Lösungsvorschlägen beantworten. Der Künstler besinnt sich - und hier mag man eine Verwandtschaft zu Klaus Rinke, seinem Lehrer an der Kunstakademie, erblicken - er besinnt sich aufs Elementare. Zum Beispiel aufs Holzhacken und andere lebenserhaltende Tätigkeiten. Der Künstler als Prototyp des tätigen Menschen nimmt sein Schicksal selbst in die Hand, erschafft sich seine eigene sichtbare und geistige Welt.
Im Akt des Holzspaltens macht Kaiser zudem das analytische Prinzip des "Zerlegens" noch einmal anschaulich. Er greift Material als Teil der Welt auf und macht es verwertbar.

Ein wichtiger Aspekt dieser Arbeiten scheint mir, dass sie uns vor Augen führen, wie einseitig unsere erlernten und normierten Wahrnehmungsweisen in Wirklichkeit sind. Marcus Kaiser ist übrigens Linkshänder - das hat er mir im Gespräch verraten - und als Linkshänder musste er sich von Anfang an darin üben und sich daran gewöhnen, mit beiden händen gleich gut zu operieren.
So zeichnet er, wenn er auf Reisen ist, mit beiden Händen gleichzeitig, und zwar nicht in aller ruhr im Hotelzimmer, sondern in voller Fahrt: In der Pariser U-Bahn, im Taxi oder in einem rappelden Bus auf einer Fahrt durch Indien. Wie ein Seismograf Zeichnen beide Hände die Reise-Bewegung auf. Auch in diesen sensiblen Studien schlägt sich offensichtlich ein elementares Stück Welterfahrung nieder.

Einseitigkeit wird man einem beidhändig operierenden Künstler also gewiss nicht vorwerfen können. Kaiser hat dialektisch stets auch die andere Seite, die andere Sichtweise im Blickfeld. Zweispurig verliefen übrigens auch seine Studienjahre. Neben seinem Studium an der Kunstakademie schloss er an der Robert-Schumann-Musikhochschule hier in Düsseldorf auch noch ein Violoncellostudium ab. Seitdem arbeitet er als Bildhauer und als Musiker - oftmals interdisziplinär. Die Klänge, Stimmen und töne in dieser Ausstellung hat er alle selbst aufgenommen und eingespielt.

Meine Damen und Herren - wenn man Kunst und Wissenschaft miteinander vergleicht - und manche sehen ja die Kunst als Pendant zur Wissenschaft - so wird man feststellen, das die Wissenschaft immer Eindeutigkeit anstrebt. Die Kunst erlaubt und fordert aber Mehrdeutigkeit.
Auch wir als Besucher dieser erfrischend mehrdeutigen Ausstellung sind somit aufgefordert, offen zu sein für einen Dialog mit der Kunst. Um mit ein wenig analoger Phantasie wird jedermann hier zu einer eigenen Deutung kommen.